Faszientherapie: Verschwendest du deine Zeit? (Studienlage 2024)

Heute wollte ich mit dir über Faszien sprechen, und zwar, inwieweit Faszientraining beziehungsweise Faszientherapie wissenschaftlich fundiert ist. In diesem Blog Artikel klären wir, was Faszien mit Schmerzen zu tun haben und ob man das Ganze nun machen sollte, oder es am besten komplett sein lässt.

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Was sind Faszien überhaupt?

Faszien sind Hüllen, die unsere Muskulatur umschließen, sowohl die einzelne Muskelfaser, als auch den gesamten Muskelbündel.

Faszientherapie - Faszienhüllen

Faszien fungieren aber auch als bindegewebsartige Sehnenplatten, wie zum Beispiel die Faszia lata.

Was sind die Hauptaufgaben der Faszien?

Zunächst haben Faszien eine Stützfunktion auf das Gewebe. Sie sorgen dadurch nicht nur im Muskel, sondern auch in Organen dafür, dass alles an Ort und Stelle bleibt.

Faszien sind auch sehr wichtig, um Widerstand zu reduzieren. Das kannst du dir wie so eine Gummischicht vorstellen. Wenn du zwei Gummischichten nebeneinander und dazwischen Flüssigkeit hast, dann gleitet das super gut. Dafür sind eben die Faszien im Körper auch da.

Die dritte Hauptaufgabe der Faszien ist die Kraftübertragung. Dafür müssen Faszien extrem hohe Kräfte tolerieren können. Insbesondere diese bindegewebsartige Sehnenplatte, die Faszia lata muss sehr, sehr hohe Kräfte aushalten können und deswegen ist sie auch so schwierig zu verformen, aber dazu kommen wir gleich.

Objektiv lässt sich nicht feststellen, dass etwas mit der Faszie nicht stimmt.

Man sieht es immer wieder in der Physiotherapie oder der Osteopathie, dass Therapeut:innen irgendwie ihre Hand auflegen und sagen, oh ja, ich spüre hier ganz viele Verklebungen, mit den Faszien stimmt was nicht.

Wenn du sowas hörst, solltest du am besten so schnell wie möglich den Raum verlassen und einen anderen Therapeuten bzw. Therapeutin suchen. Denn es ist absolut nicht möglich, also weder über das Handauflegen, noch über irgendwelche manuellen Techniken objektiv feststellen zu können, dass da was mit den Faszien nicht stimmt.

Faszientherapie in Form von Druck, Faszienrollen etc. hat keinen Einfluss auf die Faszie selbst.

In der Faszientherapie wird meistens mit sehr, sehr viel Druck gearbeitet, um eben einen positiven Einfluss auf das Fasziengewebe zu nehmen. In der Regel wird davon gesprochen, dass Faszienverklebungen durch Druck z.B. gelöst werden und das ist absolut Humbug.

Um diesen Punkt zu verdeutlichen, gibt eine sehr gute Studie. Chaudry et al. haben 2008 ein mathematisches Modell erstellt, um eben darstellen zu können, wie viel Kräfte eigentlich nötig sind, um Fasziengewebe auch nur minimal verändern zu können, also in der Länge.

Wenn du die Länge dieser Faszienstrukturen um nur 1 % verändern willst, brauchst du Kräfte, von 8000 bis über 9000 Newton.

Nur als kleiner Richtwert, ein Löwengebiss kann bis zu 4000 Newtonkräfte entwickeln. Da muss man sich erstens mal fragen, welcher Mensch kann so hohe Kräfte entwickeln?

Und die viel wichtigere Frage ist, welcher Mensch kann so hohe Kräfte tolerieren?

Effekte von Faszientraining bzw. Faszienbehandlung durch einen Therapeuten.

“Hey Gino, nachdem ich mein Faszientraining gemacht habe oder nachdem mein Therapeut oder meine Therapeutin Faszientherapie mit mir gemacht hat, habe ich weniger Schmerzen, kann mich besser bewegen, bin beweglicher und so weiter und so fort. “

Das stimmt, es gibt kurzfristige Effekte der Faszientherapie, die lassen sich aber nicht dadurch begründen, dass dein Fasziengewebe sich jetzt irgendwie in der Struktur verändert hat

Die Hauptwirkweise dieser Therapie oder Trainingsform lässt sich darauf zurückführen, dass das Schmerz-Kontra-Schmerz-Phänomen ausgenutzt wird. Denn dadurch, dass du bei dieser Therapie bzw. Trainingsform mit sehr viel Druck arbeitest, löst du auch Schmerzen aus und sowas wie die Beweglichkeit oder Schmerzen einer anderen Körperstelle sind eben durch deine Schmerztoleranz limitiert.

Das bedeutet, wenn du Schmerzen an deinem Oberschenkel auslöst, indem du den Oberschenkel ausrollst, dann kann es sein, dass danach dein Ellenbogen weniger wehtut, weil du deinen Oberschenkel mit Schmerzen konfrontiert hast und sich deine Schmerztoleranz jetzt erhöht hat.

Durch dieses Schmerz-Kontra-Schmerz-Phänomen lässt sich auch begründen, warum du danach beweglicher bist. Denn es ist die Schmerztoleranz, durch die du Bewegungseinschränkungen empfindest, und nicht die Beweglichkeit deines Gewebes.

Also wenn du eine höhere Schmerztoleranz hast, bist du danach beweglicher, weil dieses Schmerzsignal später ausgelöst wird, wenn du in eine große Dehnung reingehst.

Was mir außerdem an diesen Aussagen, wie “meine Faszien sind schuld an meinen Schmerzen” überhaupt nicht gefällt, ist, dass es so reduktionistisch ist.

Die Problematik wird auf eine einzelne Struktur heruntergebrochen, doch so funktioniert es einfach nicht.

Wenn du dich bewegst, dann ist nicht nur deine Faszie, sondern auch dein Muskel, deine Gelenke, dein Bindegewebe, deine Faszienhüllen und auch dein Nervensystem im gesamten Körper mit aktiv. Du kannst es nicht einfach nur auf diese eine Struktur reduzieren und selbst wenn du das wollen würdest, wie willst du das messen? Es geht einfach nicht.

Zu diesem Punkt solltest du noch unbedingt wissen, dass jegliche Art von Bewegung, die du machst, Faszientraining ist. Weil bei jeglicher Art von Bewegung deine Faszien mit involviert sind.

Deswegen gibt es eigentlich so ein gezieltes Faszientraining überhaupt nicht.

So und jetzt natürlich die große Frage zum Abschluss.

Sollte man Faszientherapie nun machen oder nicht?

Meiner Meinung nach kann man es auf jeden Fall machen.

Vielleicht denkst du dir jetzt so, hä, hast du nicht gerade gesagt, dass es absoluter Humbug ist? Nein, die Erklärung dahinter, dass man speziell an den Faszien trainiert und so weiter, das ist absoluter Humbug.

Aber trotzdem kann man das zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Im ersten Teil der Trainings- bzw. Therapieeinheit aus meinem Buch Pain Free Athlete arbeiten wir sogar ganz gezielt mit solchen Schaumstoffrollen. 

Der Hintergrund, weshalb wir das machen, ist aber was ganz anderes und was wir danach machen, das ist das Entscheidende.

Wir nutzen nämlich diese verbesserte Beweglichkeit und diese reduzierten Schmerzen aus, um uns danach besser bewegen zu können. Deswegen nutzt diese Tools, wie Faszienrollen oder Faszienbälle gerne. Ich bin der Letzte, der Leute verurteilt, die sich auf einer Schaumstoffrolle ausrollen.

Ich würde aber empfehlen, dass du nicht so viel Zeit mit dieser Therapie oder Trainingsmethode verschwendest. Denn 30 Sekunden pro Körperteil reichen absolut aus und bitte bewegt dich danach besser.

Nutze diesen erhöhten Bewegungsspielraum, nutze diese reduzierten Schmerzen, um zum Beispiel wieder emotional bedeutenden Aktivitäten nachzugehen und hör nicht einfach danach auf, denn dann bringt es dir absolut gar nichts.

Falls du wissen möchtest, wie genau ich die Faszientherapie nutze, schau dir gerne mal mein Buch “Pain Free Athlete” an. Mithilfe des Buchs kannst du ein eigenes Trainingsprogramm erstellen, durch das du auch chronische Schmerzen angehen kannst.

Ich hoffe, ich konnte ein bisschen Klarheit ins Thema Faszientraining bzw. Faszientherapie bringen. Falls du auch noch wissen möchtest, ob dehnen wichtig oder Zeitverschwendung ist, lies dir gerne diesen Artikel durch.


Literatur

  • Chaudhry, H., Schleip, R., Ji, Z., Bukiet, B., Maney, M., & Findley, T. (2008). Three-dimensional mathematical model for deformation of human fasciae in manual therapy. The Journal of the American Osteopathic Association108(8), 379–390. https://doi.org/10.7556/jaoa.2008.108.8.379

Gino Lazzaro

Gino hat einen Master Abschluss in Sportphysiotherapie. Er arbeitet über seine Firma Perform Perfect intensiv mit Sportler:innen zusammen, die ihre Schmerzen nicht loswerden. Außerdem bildet er in seinem Classroom motivierte Therapeut:innen und Trainer:innen aus.