Schmerzen in der Schulter durch aufrechtes Rudern?

Hast du auch schon mal gehört, dass Übungen wie das aufrechte Rudern schlecht sein sollen und Schmerzen in der Schulter auslösen können? In diesem Artikel schauen wir uns das Thema mal genauer an, indem wir die aktuelle Studienlage berücksichtigen.

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Woher kommt diese Annahme?

Diese Hypothese lässt sich ursprünglich auf Dr. Charles Neer zurückführen. Er hat im Jahre 1983 in seiner Studie geschrieben, dass seiner Meinung nach 95 % aller Risse der Rotatorenmanschette durch ein Impingement entstehen – also eine Einklemmung der Sehnen zwischen dem Oberarmkopf und dem Schulterdach.

Basierend auf seiner Vermutung hat er dann ein OP Verfahren entwickelt, bei dem es darum geht, dass man den Raum zwischen dem Oberarm und dem Schulterdach wieder vergrößert.

Diese OP nennt sich Akromioplastik bzw. subakriomale Dekompression. Das musst du dir natürlich nicht merken, aber ich wollte dennoch, dass du es mal gehört hast.

Und was hat das jetzt mit Übungen wie dem aufrechten Rudern zu tun?

Relativ simpel. Man ist davon ausgegangen, dass wenn man den Arm hochhebt, insbesondere in Innenrotation, dass dann der Raum zwischen dem Oberarm und dem Schulterdach immer kleiner wird und man eben die Sehnen etc. dazwischen zerquetscht. Genau diese Einklemmung bzw. dieses Impingement soll dann zu Schmerzen in der Schulter führen.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Lass uns einfach mal ganz kurz annehmen, dass diese Behauptung richtig ist.

Dann wäre das OP-Verfahren von Neer ja wirklich optimal, weil man ja dann den Raum zwischen Oberarm und Schulter vergrößert und dann weniger Einklemmung stattfindet.

Wenn man sich aber die Studien dazu anschaut, dann kommt man auf ein interessantes Ergebnis.

Eine Cochrane Übersichtsarbeit, was als höchstes Level der Bewertung von Studien gilt, kam zu folgendem Ergebnis. Man kann eindeutig sagen, dass die subakromiale Dekompression keine klinisch wichtigen Vorteile gegenüber Placebo in Bezug auf Schmerzen in der Schulter, Schulterfunktion oder gesundheitsbezogene Lebensqualität bietet (Karjalainen et al. 2019).

Schmerzen in der Schulter - Karjalainen et al.
Karjalainen et al. 2019

Es gibt mittlerweile sogar Richtlinien, die ausdrücklich von einer OP abraten (Vandvik et al. 2019)! Grund dafür ist, dass das OP-Verfahren “keinen Nutzen gibt, aber mögliche Schäden entstehen können”.

Und diese Ergebnisse beziehen sich nicht nur auf den Zeitpunkt kurz nach der OP! Studien, wie die von Kolk et al. oder Paavola et al. aus dem Jahr 2021 zeigen, dass das auch Jahre danach so ist!

Heißt das, dass es kein Impingement gibt?

Doch es gibt ein Impingement in der Schulter. Impingement heißt ja einfach nur Einklemmung. Lawrence et al. haben festgestellt, dass diese Einklemmung extrem häufig vorkommt. Spannend ist, dass die Einklemmung am größten ist, wenn du den Arm etwa 60° anhebst und diese dann beim weiteren Anheben weniger wird.

Lustigerweise ist der Abstand zwischen Oberarmkopf und Schulterdach bei etwa 90° (wie beim Upright Row) am geringsten, was Studien, wie die von Giphart et al. zeigen.

Schmerzen in der Schulter - Upright Row
90° Winkel im Schultergelenk beim Upright Row

Letztlich gibt es also ein Impingement, aber es ist nichts, worüber wir uns irgendwie Sorgen machen sollten.

Und falls du jetzt sagst: “Es geht doch nicht darum, wie weit der Arm angehoben wird, sondern darum, dass die Schulter so stark nach innen rotiert ist”.

Aus der Studienlage geht hervor, dass wir das faktisch nicht behaupten können.

Studien, wie die von Lawrence et al. aus dem Jahr 2020 zeigen nämlich, dass die Rotation des Oberarmkopfs bei manchen Leuten den Abstand zwischen Oberarmkopf und Schulterdach vergrößert, reduziert oder keinen Effekt hat.

Ein Zitat aus der Studie von Paavola et al. fasst es ziemlich gut zusammen:


“Da die aktuellen Beweise darauf hinweisen, dass die Impingement-Theorie überholt ist, würden wir auch empfehlen, den Begriff Schulterimpingement aufzugeben, da er sich auf diese mechanische Theorie bezieht.”
– Paavola et al. 2021

Schmerzen in der Schulter – was bedeutet das für dich?

Der wichtigste Punkt ist, dass du keine Angst vor diesen vermeintlich schädlichen Übungen haben musst. Es gibt an sich sowieso keine schlechten Übungen oder Bewegungen – höchstens Bewegungen, die AKTUELL noch zu intensiv, zu schnell oder zu lange sind.

Aber Gino, warum habe ich dann meine Schmerzen in der Schulter?

Die Antwort wird dir wahrscheinlich nicht gefallen, aber wahrscheinlich hast du einfach mehr gemacht, als deine Schulter aktuell toleriert. Das bedeutet der Schmerz ist das Ergebnis davon, dass deine Belastung momentan zu groß für deine aktuellen Kapazitäten/ deine Belastbarkeit ist.

Schmerzen in der Schulter - Zusammenspiel Belastung und Erholung

Und ansonsten darf ich auch wieder an den Gefahreneimer erinnern:

Schmerzen in der Schulter - Gefahreneimer

Viele Dinge können die Sensibilität deines Körpers erhöhen und Schmerzen provozieren. Lies dir am besten meinen Artikel über die 9 häufigsten Schmerzmythen durch, falls du das Ganze gerade zum ersten Mal hörst.

Folgende Empfehlungen kann ich dir geben:

  • Wenn aufrechtes Rudern aktuell schmerzhaft ist, dann reduziere das Gewicht, spiele etwas mit der Ausführung oder reduziere den Bewegungsumfang. Wenn all das nicht hilft, dann lass sie einfach mal eine Zeit lang weg und tausche sie durch eine andere Übung, die denselben Effekt hat (z. B. Seitheben mit der Kurzhantel).
  • Zoome gerne mal raus und versuche Schmerzen nicht immer nur auf Gewebebelastung zu reduzieren, es gibt noch viele andere Dinge, die hier einen Einfluss haben können.
  • Versuche deinen Lebensstil zu optimieren (Schlaf, Ernährung, Aktivität etc.), um allgemein gesünder zu werden – das kann einen sehr positiven Einfluss haben.
  • Wenn die Schmerzen weniger werden, dann fang an, die schmerzhaften Übungen langsam wieder einzubauen und in kleinen Schritten zu steigern.

Und wenn du denkst, dass deine Körperhaltung Schuld an deinen Schmerzen in der Schulter ist, dann schau dir bitte dieses Video an (ich lag nämlich diesbezüglich auch mal falsch.)


Literatur

  • Giphart, J. E., van der Meijden, O. A., & Millett, P. J. (2012). The effects of arm elevation on the 3-dimensional acromiohumeral distance: a biplane fluoroscopy study with normative data. Journal of shoulder and elbow surgery21(11), 1593–1600. https://doi.org/10.1016/j.jse.2011.11.023
  • Kolk, A., Thomassen, B. J. W., Hund, H., de Witte, P. B., Henkus, H. E., Wassenaar, W. G., van Arkel, E. R. A., & Nelissen, R. G. H. H. (2017). Does acromioplasty result in favorable clinical and radiologic outcomes in the management of chronic subacromial pain syndrome? A double-blinded randomized clinical trial with 9 to 14 years’ follow-up. Journal of shoulder and elbow surgery26(8), 1407–1415. https://doi.org/10.1016/j.jse.2017.03.021
  • Karjalainen, T. V., Jain, N. B., Page, C. M., Lähdeoja, T. A., Johnston, R. V., Salamh, P., Kavaja, L., Ardern, C. L., Agarwal, A., Vandvik, P. O., & Buchbinder, R. (2019). Subacromial decompression surgery for rotator cuff disease. The Cochrane database of systematic reviews1(1), CD005619. https://doi.org/10.1002/14651858.CD005619.pub3
  • Lawrence, R. L., Braman, J. P., & Ludewig, P. M. (2019). The Impact of Decreased Scapulothoracic Upward Rotation on Subacromial Proximities. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy49(3), 180–191. https://doi.org/10.2519/jospt.2019.8590
  • Neer C. S., 2nd (1983). Impingement lesions. Clinical orthopaedics and related research, (173), 70–77.
  • Paavola, M., Malmivaara, A., Taimela, S., Kanto, K., Inkinen, J., Kalske, J., Sinisaari, I., Savolainen, V., Ranstam, J., Järvinen, T. L. N., & Finnish Subacromial Impingement Arthroscopy Controlled Trial (FIMPACT) Investigators (2018). Subacromial decompression versus diagnostic arthroscopy for shoulder impingement: randomised, placebo surgery controlled clinical trial. BMJ (Clinical research ed.)362, k2860. https://doi.org/10.1136/bmj.k2860
  • Vandvik, P. O., Lähdeoja, T., Ardern, C., Buchbinder, R., Moro, J., Brox, J. I., Burgers, J., Hao, Q., Karjalainen, T., van den Bekerom, M., Noorduyn, J., Lytvyn, L., Siemieniuk, R. A. C., Albin, A., Shunjie, S. C., Fisch, F., Proulx, L., Guyatt, G., Agoritsas, T., & Poolman, R. W. (2019). Subacromial decompression surgery for adults with shoulder pain: a clinical practice guideline. BMJ (Clinical research ed.)364, l294. https://doi.org/10.1136/bmj.l294

Gino Lazzaro

Gino hat einen Master Abschluss in Sportphysiotherapie. Er arbeitet über seine Firma Perform Perfect intensiv mit Sportler:innen zusammen, die ihre Schmerzen nicht loswerden. Außerdem bildet er in seinem Classroom motivierte Therapeut:innen und Trainer:innen aus.