Schmerzen zwischen den Schulterblättern lösen

Ich habe mir die beliebtesten YouTube-Videos zum Thema Schmerzen zwischen den Schulterblättern angeschaut und muss sagen, dass ich ziemlich enttäuscht war, weil sehr veraltete, eindimensionale Ansätze gezeigt werden. Und das möchte ich mit diesem Artikel ändern.

YouTube Video

Am Ende des dritten Teils bekommst du dann noch eine moderne, ganzheitliche Empfehlungen vor mir.

Welche Ursache wird für Schmerzen zwischen den Schulterblättern genannt?

Mit Abstand am häufigsten kommt das Thema Muskelverspannungen vor. Diese Muskelverspannungen sollen die Ursache für diese Schmerzen zwischen dem Schulterblatt sein.

Zweitens werden Wirbelblockaden im Bereich der Brustwirbelsäule als Ursache genannt.

Als dritte Ursache wird die Körperhaltung genannt, dass die Leute zum Beispiel zu flach atmen und deswegen der Brustkorb in sich hinein kollabiert. Dadurch sollen die Schultern nach unten sinken, wodurch wieder vermehrt Spannung aufgebaut wird, die dann wieder zu Schmerzen führen soll.

Zuletzt wird in manchen Videos auch erwähnt, dass die inneren Organe die Ursache sein können und dass man das dann ärztlich abklären soll.

Therapievorschläge für Schmerzen zwischen den Schulterblättern:

Um die Muskelverspannungen loszuwerden, wird empfohlen, Dehn- oder Mobilisationsübungen zu machen. Wenn die Verspannungen durch einen blockierten Wirbel kommen, dann sollte man die Wirbelblockade lösen. In Bezug auf die Körperhaltung wird empfohlen, z. B. mit Tape zu arbeiten. Dieses wird dann zwischen den Schulterblättern angebracht und dadurch soll die Brustwirbelsäule mehr aufgerichtet werden. Weitere genannte Therapiemethoden sind eine tiefere Atmung und das Strecken der Wirbelsäule für eine bessere Körperhaltung, sowie eine Erhöhung der Bauchspannung.

Nochmal ganz wichtig, das sind nicht meine Worte, sondern das sind die Empfehlungen, die in den beliebtesten YouTube-Videos zu diesem Thema gemacht werden.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Verspannte Muskulatur als Ursache?

Die Wahrscheinlichkeit, dass verspannte Muskeln die Ursache für deine Schmerzen sind, ist äußerst gering. Es ist viel eher so, dass du zuerst Schmerzen hast und sich dann die Muskelspannung erhöht. Bedeutet, wenn du an den Verspannungen arbeitest, arbeitest du nur am Symptom und nicht an der Ursache.

Es ist sogar viel eher so, dass Muskelaktivität und damit Anspannung der betroffenen Muskulatur dazu führt, dass Schmerzen weniger werden. Das sind keine neuen Informationen, das wissen wir schon seit dem letzten Jahrhundert, zum Beispiel durch Studien von Knost et al. (1999).

Außerdem würde ich es sowieso sehr kritisch betrachten, wenn dir irgendjemand sagt, oh ja, hier bist du total verspannt, das ist mit Sicherheit die Ursache für deine Schmerzen.

Warum? Weil weder Therapeut:innen noch Ärzt:innen zuverlässig Verspannungen in der Muskulatur feststellen können. Das zeigen zum Beispiel Studien wie die von Maigne et al. aus dem Jahr 2012.

Die Autoren haben sich angeschaut, ob Therapeut:innen feststellen können, ob eine Person Schmerzen auf der rechten Nackenseite oder auf der linken Nackenseite hat, beziehungsweise auf der rechten Lendenwirbelsäulenseite oder auf der linken Lendenwirbelsäulenseite. Einfach nur durch Berührung und fühlen der Muskelspannung. Dort konnten sie feststellen, dass die Therapeut:innen nur in 55 bis 65 % der Fälle die richtige Seite identifizieren konnten und das ist nicht sonderlich viel besser als wenn du einfach nur eine Münze geschmissen hättest.

Aber angenommen, die Verspannungen wären die Ursache für deine Schmerzen, dann wäre es wahrscheinlich auch so gewesen, dass die Dehnübungen, die du wahrscheinlich schon zur Genüge gemacht hast oder das Foam Rolling mit der Faszienrolle deine Probleme nachhaltig gelöst hätten. Ich gehe aber davon aus, dass sie das nicht haben. Deswegen würde ich dir einen ganzheitlicheren Ansatz empfehlen, zu dem ich auch gleich noch komme.

Blockierte Wirbel als Ursache?

Ich habe es zwar schon tausend Mal gesagt, aber ich sage es hier gerne nochmal. Wirbel können nicht blockieren. Also der Wirbel kann sich blockiert anfühlen, verstehe mich nicht falsch, deswegen sagen viele Leute ja auch “ich habe das Gefühl, es müsste nur mal knacken” oder “es ist so blockiert da hinten”.

Die Ursache ist aber nicht, dass der Wirbel nicht in der richtigen Position ist oder dass da wirklich physisch eine Blockade ist. Aber Gino, meine ganze Wirbelsäule knackt ja, wenn ich zum Osteo, Chiropraktiker oder Physio gehe. Verstehe ich voll.

Das Knacken entsteht aber dadurch, dass eine ruckartige Bewegung zu einem Unterdruck im Gelenk führt. Durch diesen Unterdruck entstehen kleine Luftbläschen und dieser Prozess führt zu diesem knackenden Geräusch und nichts weiteres.

Körperhaltung als Ursache?

Auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Körperhaltung die Ursache für diese Beschwerden ist, ist äußerst gering. Hier darf ich wieder die Studie von Swain et al. aus dem Jahr 2019 erwähnen, die keinerlei Zusammenhang zwischen irgendeiner Körperhaltung und Rückenschmerzen feststellen können. Um fair zu sein, muss man sagen, dass in der Studie Schmerzen im unteren Rücken angeschaut werden, aber auch in Bezug auf die Brustwirbelsäule und Halswirbelsäule gibt es keinen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen irgendeiner Körperhaltung und Schmerzen.

Es gibt auch einige Untersuchungen, die an der Halswirbelsäule gemacht wurden in Bezug auf diesen Geiernacken und da konnten sie auch keinerlei Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Geiernackens und Nackenschmerzen feststellen.

Allgemein muss man sowieso sagen, dass die Körperhaltung sehr schlecht mit Schmerzen zusammenhängt. Wenn dir also irgendjemand sagt, dass du aufgrund von deiner Körperhaltung Schmerzen hast, dann würde ich das stark hinterfragen. Diverse Studien, wie die von Swain et al. (2019) annullieren diese Aussage. Also da einfach vorsichtig sein.

Du kannst natürlich durch eine Veränderung der Körperhaltung deine Schmerzen positiv beeinflussen, wenn eine Körperhaltung gerade Schmerzen verursacht. Klar, aber es ist nicht die Ursache für deine Schmerzen. Falls du dich noch mehr für das Thema interessierst könnte dir auch dieser Artikel gefallen.

Therapiemethoden.

Dehnübungen scheinen die Muskelspannung nicht wirklich nachhaltig verändern zu können. Zumindest ist die Studienlage so umstritten, dass man da keine harte Aussage machen kann von wegen, ah ja, mach die Dehnübungen, weil dadurch werden die Verspannungen weniger. Es gibt sogar einige Untersuchungen, die ganz klar sagen, dass Dehnübungen keinen Effekt auf sehr starke Verspannungen wie zum Beispiel eine Spastik hat. Das zeigt zum Beispiel die Studie von Bovend’Eerdt et al. aus dem Jahr 2008.

Auch in Bezug auf die Körperhaltung scheinen Dehnübungen keinen nachweislichen Effekt zu haben. Das zeigen zum Beispiel Untersuchungen wie die von Rosa et al. (2017), die sich angeschaut haben, ob Dehnübungen für die Brustmuskulatur dazu führen, dass sich die Funktion der Schulter oder die Bewegung des Schulterblatts irgendwie verändern. Sowohl bei Leuten mit, als auch ohne Schulterschmerzen gibt es keinen nachweislichen Effekt.

So, weiter geht es mit den Wirbelsäulenmanipulationen. Wir haben ja schon geklärt, dass dadurch nicht irgendwie eine Blockade gelöst wird. Dennoch scheinen sie einigen Leuten zu helfen. Da gibt es das sehr, sehr bekannte Paper von Nim et al. aus dem Jahr 2021, die sich dieses Thema ganz genau angeschaut haben, ob Manipulationen an der Wirbelsäule einen lokalen Effekt genau an dem Wirbelsegment haben, wo die Manipulation durchgeführt wird oder ob das eher ein globaler Effekt ist. Sie sind eben zu dem Ergebnis gekommen, dass es eher ein globaler Effekt ist.

Warum das so ist, ist noch nicht ganz klar. Da gibt es verschiedene Theorien, aber das können wir gerne in einem anderen Artikel nochmal besprechen.

Auch Kinesio-Tape scheint über den Placebo-Effekt hinaus nicht wirksam zu sein.

Wissenschaftliche Empfehlungen:

Ein ganz wichtiger Punkt, der in keinen dieser Videos angesprochen wurde, ist die Halswirbelsäule. Aus der Halswirbelsäule treten ganz viele Nerven aus, die den Oberkörper versorgen. Das Paper von Tanaka et al. aus dem Jahr 2006 hat gezeigt, dass bei über 50 % der Leute, bei denen eine Nervenwurzel im Halswirbelsäulenbereich betroffen ist, auch Schmerzen im Schulterblattbereich auftreten, also zwischen den Schulterblättern.

Oft geht man ja bei solchen Nervenschmerzen davon aus, dass sie ausstrahlend sind, zum Beispiel den ganzen Nacken entlang, in den Arm bis in die Hand und eventuell dann auch in den Schulterblattbereich. Tanaka et al. haben aber festgestellt, dass bei einigen Leuten es genau dort zwischen den Schulterblättern anfängt und vielleicht sogar nur in diesem Bereich bleibt. Ich weiß, das Thema Halswirbelsäule und Nerven ist immer so, oh mein Gott, bitte nicht, Katastrophe.

Bitte nicht falsch verstehen. Ich sage nicht, dass irgendein Nerv in deiner Halswirbelsäule beschädigt ist oder sonst was. Es kann einfach sein, dass der Nerv gerade sensibel ist aus irgendwelchen Gründen und das bringt mich auch schon perfekt zu dem ganzheitlichen Ansatz, den ich dir den ganzen Artikel über schon versprochen habe.

Hierzu passt die Analogie des Gefahreneimers einfach wieder perfekt.

Gefahreneimer

Jegliche Stressoren, die du in deinem Leben hast, zum Beispiel Stress bei der Arbeit, in Beziehungen, schlechte Ernährung, Schlafmangel, Inaktivität, das sind alles Dinge, die den Eimer mit Wasser füllen können. Sobald der Eimer überfließt mit Wasser, ist Schmerz eine mögliche Antwortreaktion von deinem Körper, um dir zu sagen, ey, es wäre mal an der Zeit, was zu verändern.

Der ganzheitliche Ansatz wäre also, dass du dich nicht zu sehr auf dieses Gebiet fokussierst und denkst, okay, es sind definitiv meine Muskeln zwischen den Schulterblättern, die verspannt sind und das verursacht meine Schmerzen.

Sondern eher mal raus zu zoomen und dich zu fragen, hey, schlafe ich eigentlich gerade ausreichend? Ist meine Ernährung ausgewogen? Habe ich irgendwie extrem viel Stress bei der Arbeit? Bin ich viel inaktiver als sonst?

Das sind nämlich große Einflussfaktoren, die du auch verändern kannst, die einen nachhaltigen Einfluss auf Schmerzen haben werden. Das gilt nicht nur speziell in dem Gebiet sondern, auch wenn du irgendwo anders in deinem Körper Schmerzen haben solltest.

Ich weiß, dass einige dieser Lifestyle-Faktoren nicht so leicht veränderbar sind. Das soll dich auch nicht verrückt machen. Fokussiere dich auf die niedrig hängenden Früchte, die du leicht verändern kannst. Ich gebe dir mal ein paar Beispiele, sowas wie mehr Obst und Gemüse essen, dich mehr und regelmäßiger bewegen, gerade wenn du einen Job hast, wo du viel sitzen musst. Nicht, dass sitzen per se schlecht wäre. Wenn das gerade aber bei dir die Symptome verursacht, dann schau doch einfach, dass du alle 30 bis 60 Minuten aufstehst, deine Halswirbelsäule mobilisierst, deine Brustwirbelsäule mobilisierst.

Ich nenne dir auch gleich noch ein paar Übungen, die du da machen kannst. Außerdem besteht die Möglichkeit , dass du mehr auf deinen Schlaf achtest, also einfach deine Schlafhygiene mehr in den Vordergrund rückst. Damit meine ich Dinge, wie nicht mehr 10 Minuten vorm Schlafen gehen, Instagram durchscrollen, sondern vielleicht eine Stunde vorm Schlafen gehen, schon ein bisschen runterkommen, die Lichtverhältnisse anpassen, in einem dunklen, kühlen Raum schlafen. Das sind Dinge, die sich relativ leicht verändern lassen, die einen großen Einfluss auf Schmerzen haben können.

In Bezug auf Übungen kannst du wirklich so, so viel machen. Es ist nicht so, wie es in ganz vielen Videos gesagt wird, dass es die perfekte, magische Übung gibt, die ganz bestimmt ausgeführt werden muss, damit die Schmerzen weggehen. Ich habe ja das Thema Halswirbelsäule als mögliche Ursache genannt. Versucht die einfach durch zu mobilisieren durch sowas wie CARS oder Anterior Posterior Glides oder Lateral Glides.

Das sind alles ganz einfache Übungen, die du problemlos in deinen Alltag integrieren kannst.

Natürlich kannst du die Schmerzen im Bereich der Schulterblätter positiv beeinflussen, wenn du die Brustwirbelsäule mobilisierst. Da gerne mit solchen Dingen wie Katze-Kuh-Arbeiten, der 90-90-Stretch-with-Arm-Sweep, Jefferson Curls oder die Loaded T-Spine Extension. Da kannst du wirklich so viele Übungen machen. Solltest du die Übungen nicht kennen, schau einfach in das Youtube-Video rein (siehe oben).

Achte hier einfach darauf, wie dein Körper reagiert. Fang mit den einfachen Übungen ohne Zusatzgewicht erstmal an. Wenn dein Körper damit gut klarkommt, dann kannst du gerne mit der Zeit etwas Gewicht hinzufügen.


Literatur

  • Bovend’Eerdt, T. J., Newman, M., Barker, K., Dawes, H., Minelli, C., & Wade, D. T. (2008). The effects of stretching in spasticity: a systematic review. Archives of physical medicine and rehabilitation89(7), 1395–1406. https://doi.org/10.1016/j.apmr.2008.02.015
  • Knost, B., Flor, H., Birbaumer, N., & Schugens, M. M. (1999). Learned maintenance of pain: muscle tension reduces central nervous system processing of painful stimulation in chronic and subchronic pain patients. Psychophysiology36(6), 755–764.
  • Maigne, J. Y., Cornelis, P., & Chatellier, G. (2012). Lower back pain and neck pain: is it possible to identify the painful side by palpation only?. Annals of physical and rehabilitation medicine55(2), 103–111. https://doi.org/10.1016/j.rehab.2012.01.001 
  • Nim, C. G., Downie, A., O’Neill, S., Kawchuk, G. N., Perle, S. M., & Leboeuf-Yde, C. (2021). The importance of selecting the correct site to apply spinal manipulation when treating spinal pain: Myth or reality? A systematic review. Scientific reports11(1), 23415. https://doi.org/10.1038/s41598-021-02882-z
  • Rosa, D. P., Borstad, J. D., Pogetti, L. S., & Camargo, P. R. (2017). Effects of a stretching protocol for the pectoralis minor on muscle length, function, and scapular kinematics in individuals with and without shoulder pain. Journal of hand therapy : official journal of the American Society of Hand Therapists30(1), 20–29. https://doi.org/10.1016/j.jht.2016.06.006
  • Swain, C. T. V., Pan, F., Owen, P. J., Schmidt, H., & Belavy, D. L. (2020). No consensus on causality of spine postures or physical exposure and low back pain: A systematic review of systematic reviews. Journal of biomechanics102, 109312. https://doi.org/10.1016/j.jbiomech.2019.08.006
  • Tanaka, Y., Kokubun, S., Sato, T., & Ozawa, H. (2006). Cervical roots as origin of pain in the neck or scapular regions. Spine31(17), E568–E573. https://doi.org/10.1097/01.brs.0000229261.02816.48

Gino Lazzaro

Gino hat einen Master Abschluss in Sportphysiotherapie. Er arbeitet über seine Firma Perform Perfect intensiv mit Sportler:innen zusammen, die ihre Schmerzen nicht loswerden. Außerdem bildet er in seinem Classroom motivierte Therapeut:innen und Trainer:innen aus.